Ecce Homo

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Röcken

Friedrich Nietzsche erblickt am 15. Oktober 1844, Vormittags zehn Uhr, im Pfarrhaus zu Röcken das Licht der Welt. Eintrag ins TaufregisterDas kleine Dorf Röcken "auf dem Schlachtfelde von Lützen" (wie Nietzsche in seinem Lebenslauf an Brandes 1888 schreibt), liegt an der Straße zwischen Leipzig und Weißenfels, zählte aber zum preußischen Teil Sachsens. Am 24. Oktober tauft ihn sein einunddreißigjähriger Vater, Carl Ludwig Nietzsche, in der neben dem Pfarrhaus liegenden Kirche über dem dort noch befindlichen Taufstein auf den Namen Friedrich Wilhelm; einerseits, weil er vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die Pfarrstelle in Röcken erhalten hat, dazu, weil der 15. Oktober auch der Geburtstag des Königs ist. In seiner überaus pathetischen Taufrede sagt der Vater: "Mein Sohn, Friedrich Wilhelm, so sollst Du genennet werden auf Erden, zur Erinnerung an meinen königlichen Wohltäter, an dessen Geburtstag Du geboren wurdest".

Die achtzehnjährigeNietzsches Mutter Franziska Mutter Franziska Nietzsche, geb. Oehler, stammt aus dem nahegelegenen Pobles. Sie muß den Haushalt teilen mit vier weiteren Frauen (!). Zum Pfarrhaushalt in Röcken gehören aus der Familie ihres Mannes noch dessen Mutter Erdmuthe sowie dessen Schwestern Auguste und Rosalie, sowie das Hausmädchen Mine. Ebenso wie Friedrichs Vater stammt auch seine Mutter aus einer Pfarrerfamilie. Genealogische Forschungen machen plausibel, daß die Genialität Friedrich Nietzsches viel mit seiner Herkunft aus der geistigen Sphäre des Protestantismus zu tun hat. Ahnengemeinschaft zu verschiedenen bedeutenden Geistern ist nachgewiesen. Vorgeprägt ist ein Moment der Distanz zur Umgebung, das Nietzsches Charakter sein ganzes Leben ausmacht, sich sogar zu einem 'Pathos der Distanz' steigert. Die viel später von Nietzsche kolportierte Geschichte, daß ein polnischer Adliger zu seinen direkten Vorfahren zählt, gehört in diesen Gedankenkreis.

Obwohl manTante Rosalie also in Röcken in bäuerlich-provinziellen Umgebung wohnte, pflegt man in beiden Pfarrerhaushalten bürgerliche Kultur, insbesonders die Musik und die Literatur wurde sehr hoch geschätzt. Nietzsche wird später, schon Schüler in Pforta bei Naumburg, in den Ferien bei seinen Großeltern in Pobles intensiven Gebrauch von der umfangreichen Bibliothek seines Großvaters machen. Die ersten Lebensjahre Friedrich Wilhelm Nietzsches, familiär auch Fritz genannt, in Röcken muß man sich als Idylle vorstellen. Nietzsche schreibt als Vierzehnjähriger (!) in seinem Lebenslauf mit Wehmut über das spärlich Erinnerte, z.B. eine Wanderung mit seinem Vater von Lützen nach Röcken.

Zwei Jahre nach Friedrich Wilhelm wird Pfarrhaus Röcken1846 die Schwester Elisabeth geboren, 1848 der Bruder Joseph. Jäh zerbricht das Familienglück, als der Vater sich nach einem Sturz eine Gehirnerkrankung zuzieht, an der er 1849 stirbt. Diese sogenannte 'Hirnerweichung' wird später zu vielerlei Spekulationen über Friedrich Nietzsches eigene Krankheit führen. Gerade Elisabeth wird immer wieder den Moment des Sturzes als Auslöser der Krankheit nennen und jede erbliche Krankheit von der Hand weisen. Kurz nach dem der Vater stirbt, kaum zweijahrig, auch noch der Bruder Joseph. Im April 1850 verläßt die gesamte Familie das Pfarrhaus und zieht, vermutlich auf Veranlassung der Großmutter, ins vierzig Kilometer entfernte Naumburg. Röcken hinterläßt tiefreichende Spuren: das Gefühl, durch einen kulturellen Horizont etwas Besonderes zu sein; der Verlust des Vaters und Bruders führt dazu, daß Nietzsche in einer vollständig von Frauen dominierten Umgebung aufwächst; der Umzug nach Naumburg beraubt Friedrich seiner Heimat.


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